Inklusion

Ali Veli Basacik will Vorbild für Gehörlose sein

Auf den ersten Blick ist Ali Veli Basacik ein Auszubildender wie viele andere auch. Dass er ein Pionier oder gar ein Vorbild für andere Menschen in seiner Situation ist, erschließt sich nicht sofort. Doch wer genau hinschaut, sieht, dass Ali eine Hörhilfe trägt. Denn der 24-Jährige ist von Geburt an gehörlos und somit eben doch ein Pionier – in seinem Ausbildungsbetrieb und in der SIHK Akademie.
Ali schließt gerade seine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik beim Hagener Unternehmen Inbatec ab, das sich im Kunststoffanlagenbau für die Batterieproduktion spezialisiert hat. Das Berufsschulzeugnis hat er schon in der Tasche. Auf das Ergebnis seiner theoretischen Abschlussprüfung wartet er noch, im Januar steht dann noch die praktische Prüfung an.

Im Vorstellungsgespräch überzeugt

„Ali hat in seinem Vorstellungsgespräch einfach überzeugt. Im darauffolgenden Praktikum haben wir gesehen, dass er die richtigen Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringt, sodass wir ihm eine Ausbildung als Elektroniker für Betriebstechnik angeboten haben“, erinnert sich Jacqueline Wagener, Personalreferentin bei Inbatec, an Alis Anfang im Unternehmen. „Er geht offen mit seiner Einschränkung um, die ihn nicht daran gehindert hat, tolle Fortschritte in seiner Ausbildung zu erzielen“, so Wagener, die Ali als „Bereicherung für unser Team“ lobt.
Der angehende Elektroniker wiederum hatte sich für Inbatec entschieden, weil „mir wichtig war, dass die Firma Verständnis für mich als Gehörlosen aufbringt“. Bei dem Hagener Unternehmen fühlte und fühlt er sich gut aufgehoben. Auf seine rund 20 Bewerbungen hatten sich lediglich vier Unternehmen bei dem Wittener gemeldet. „Die hätten mich alle genommen“, ist sich Ali sicher.
Im Arbeitsalltag bei Inbatec wirke sich die Zusammenarbeit mit dem Gehörlosen positiv auf die Unternehmenskultur aus. „Die Arbeitsweise hat sich untereinander so angepasst, dass gegenseitige Rücksichtnahme im Vordergrund steht“, so Wagener.

Erst antippen, dann ansprechen

Auch aus Alis Sicht laufen die Dinge nach einer kurzen Eingewöhnungsphase gut, etwa wenn Kollegen ihn von hinten ansprechen und er nicht reagiert: „Die haben aber schnell gemerkt, dass sie mich antippen und wir uns ansehen müssen, wenn wir miteinander sprechen. Und ich habe noch so viel Restgehör, dass ich es ab und zu mitbekomme, wenn jemand ganz, ganz laut „Ali!“ brüllt.
Schwieriger sei die Situation durch Corona und die damit einhergehende Maskenpflicht geworden, die Ali daran hindert, die Lippenbewegungen seines Gegenübers zu sehen. „Ich muss dann die Leute bitten, wirklich sehr, sehr laut zu sprechen, damit ich über meine Hörhilfen etwas verstehe. Aber die Masken erschweren den Alltag ungemein“, schildert Ali die Situation.
Von der Grundbildung im ersten Ausbildungsjahr bis zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen war Ali Veli Basacik auch als Teilnehmer in der SIHK Akademie. Für beide Seiten eine neue Erfahrung. „In den ersten Monaten habe ich sehr viel verpasst“, so der Wittener. Es habe eine Weile gedauert, bis sich die Ausbilder und Ali aufeinander eingestellt hatten. „Meine Ausbilder Jörg Heimann und Ivo Pruscini haben sich wirklich mächtig ins Zeug gelegt und mir jede Unterstützung gegeben, die sie mir geben konnten“, blickt er zurück.

Mehr mit Beispielen arbeiten

Denn als Gehörloser lernt Ali anders als viele seiner Mit-Azubis. „Es heißt zum Beispiel oft, man solle einen Text nochmal lesen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Das ist für mich nicht der Königsweg. Es wäre klasse, wenn man mehr mit Beispielen arbeiten würde“, erklärt Ali.
Das war auch für die Ausbilder in der SIHK Akademie eine Umstellung. „Wir haben viel durch den Umgang mit Ali gelernt“, sagt Jörg Heimann. Dabei profitierten auch die anderen Auszubildenden von Alis Lernmethoden. „Man lernt immer besser, wenn man an einem Modell oder mit Bildern arbeiten kann“, weiß Heimann, der diese Medien nun entsprechend häufiger in seinen Ausbildungsalltag integriert.
Ali hofft, dass andere Azubis seinem Beispiel folgen. „Ich bin bestimmt ein Vorbild, weil ich vermitteln will, dass Gehörlose nicht dumm sind, sondern auch einen Anspruch darauf haben, gefordert und gefördert zu werden“, erklärt er seine Motivation.
Bei Inbatec scheint sein Engagement zu wirken. Die Firma hat vor Kurzem einen schwerhörigen Auszubildenden eingestellt.

Interview mit Ali Veli Basacik

Ali, war dir immer klar, dass du eine Ausbildung in einem normalen Betrieb machen wirst? Wie waren deine Schritte von der Schule bis zur Ausbildung?
Ich bin in Essen zur Schule gegangen und habe dort an der Förderschule für Hören, Sprache und Kommunikation meinen Realschulabschluss gemacht. Ich hatte überlegt, ob ich Fachabi mache, hatte davon aber schnell die Nase voll. Dann habe ich Bewerbungen geschrieben und mich bei der Arbeitsagentur gemeldet. Irgendwann bin ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden und dann haben wir einen Ausbildungsvertrag geschlossen.
Wie viele Bewerbungen hast du geschrieben?
Das müssen 20 oder 22 gewesen sein. Ich hatte im 20-Kilometer-Radius um meinen Wohnort Witten herum gesucht. Vier Firmen haben geantwortet, und ich glaube, die hätten mich auch alle genommen. Mir war wichtig, dass die Firma ein gewisses Verständnis für mich als Gehörlosen aufbringt. Somit ist es dann meine jetzige Firma geworden.
Bist du der einzige Gehörlose dort?
Als ich dort anfing, war ich der Einzige. Jetzt wurde noch ein Schwerhöriger eingestellt.
Wie funktioniert dort die Kommunikation? Ist die Dolmetscherin immer dabei?
Nein, nein. Dolmetscher bestelle ich nur, wenn es besondere Situationen oder Gespräche gibt. Wenn ich mit meinem Ausbilder oder einem Kollegen spreche, komme ich ganz gut klar. Schwieriger wird es in Gruppen.
Wie funktioniert das, wenn Kollegen auf Zuruf etwas von dir wollen und von hinten deinen Namen rufen?
Am Anfang gab es das schon mal. Die haben aber schnell gemerkt, dass sie mich antippen und wir uns ansehen müssen, wenn wir miteinander sprechen. Und ich habe noch so viel Restgehör, dass ich es ab und zu mitbekomme, wenn jemand ganz, ganz laut „Ali!“ brüllt. Zu Beginn der Corona-Pandemie hatte ich natürlich große Schwierigkeiten, den Leuten vom Mund abzulesen. Ich habe zum Glück technische Hilfen. Ich muss dann die Leute bitten, wirklich sehr, sehr laut zu sprechen, damit ich über meine Hörhilfen etwas verstehe. Aber die Masken erschweren den Alltag ungemein.
Wie wirst du in Gefahrensituationen gewarnt? Gibt es für dich zum Beispiel eine optische Warnanlage im Betrieb, statt einer Sirene?
Ja, wir Elektriker haben da einige Umbauten selbst vorgenommen. Aber ich habe auch einen Pager, der mich per Vibrationsalarm warnt. Andere Alarme werden auch an mein Handy weitergeleitet. Unsere Warnanlage in der Firma ist allerdings auch so laut, dass sie alles übertönt.
Wie funktioniert deine Zusammenarbeit mit den Ausbildern in der SIHK Akademie?
Am Anfang war ich irritiert. Es gab keine Dolmetscher, ganz viele, fremde Leute rannten herum, und die Inhalte sind irgendwie komplett an mir vorbeigezogen. Die direkten Mitschüler in meinem Kurs hatten sich aber Mühe gegeben. Da hatte ich schon das Gefühl, dass das Verständnis für meine Situation da war.
Die Ausbilder haben sich von Anfang an sehr viel Mühe gegeben. Trotzdem habe ich in den ersten Monaten viel Stoff verpasst. Erst später waren wir aufeinander eingespielt. Seitdem erklären mir die Ausbilder nicht mehr so viel, sondern legen mehr Wert auf Zeichnungen oder Bilder. Ab dem zweiten Lehrjahr habe ich dann Unterstützung durch Dolmetscher beantragt. So kann ich auch mal Nachfragen stellen oder Missverständnisse klären.
Das war für uns alle eine Entwicklung. Die SIHK Akademie hat sich mir aber wirklich angepasst. Meine Ausbilder Herr Heimann und Herr Pruscini haben sich wirklich mächtig ins Zeug gelegt und mir jede Unterstützung gegeben, die sie mir geben konnten.
Siehst du dich als Vorbild?
Ich bin ein selbstständiger Typ. Meine innere Haltung ist, dass jeder gleichberechtigt ist. Wenn man Probleme hat, kann man sich zum Beispiel an den Integrationsfachdienst wenden, der dann hilft. Das sage ich auch anderen jungen Menschen. Ja, insofern bin ich bestimmt ein Vorbild, weil ich auch vermitteln will, dass Gehörlose nicht dumm sind, sondern auch einen Anspruch darauf haben, gefordert und gefördert zu werden.
Was muss sich bei hörenden Menschen ändern, um Integration und Inklusion zu verbessern?
Eine ganze Menge. Hörende sollten sich ein bisschen anpassen und Empathie entwickeln. Es heißt zum Beispiel oft, man solle einen Text nochmal lesen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Das ist für mich nicht der Königsweg. Es wäre klasse, wenn man mehr mit Beispielen arbeiten würde. Das wäre für Gehörlose wichtig. Bei Teamarbeit sollte eine Redereihenfolge eingehalten werden. Alle sollten ausreden und nacheinander sprechen, damit man als Gehörloser weiß, in welche Richtung man sehen soll. Wenn sich die Leute unterbrechen oder plötzlich jemand hinter mir etwas sagt, bekomme ich das nicht mit. Das sind die Tücken im Alltag.
In der Ausbildung wäre es klasse, wenn mehr gezeigt und anhand von Grafiken erklärt würde. Oft hält jemand einfach nur einen Vortrag ohne irgendetwas Visuelles. Dann zieht vieles an mir vorbei. Wenn ich kein Bild vor Augen habe, kann ich Zusammenhänge nicht gut begreifen.